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In Baden-Württemberg 2020 rund 6100 rechtskräftige Verurteilungen weniger als im Vorjahr / Rückgang um 5,5 Prozent

Datum: 03.11.2021

Kurzbeschreibung: Justizministerin Marion Gentges: „Das Jahr 2020 war auch bei den Strafgerichten von der Corona-Pandemie geprägt.“ 

Im Gegensatz zum Rückgang der Verurteilungen in den übrigen Deliktsbereichen steigt die Zahl bei Sexualstraftaten zum vierten Mal in Folge an.

Im von der Corona-Pandemie geprägten Jahr 2020 ist die Zahl der rechtskräftigen Verurteilungen durch Strafgerichte in Baden-Württemberg gesunken. Dies erläuterten Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges und die Präsidentin des Statistischen Landesamtes, Dr. Anke Rigbers, am heutigen Mittwoch (3. November 2021) in Stuttgart bei der Vorstellung der Ergebnisse der Strafverfol-gungsstatistik des Jahres 2020.

Justizministerin Marion Gentges sagte: „Gegenüber dem Vorjahr haben wir in Baden-Württemberg im Jahr 2020 insgesamt 103.761 Verurteilungen und damit 6.086 Verurteilungen weniger als im Vorjahr zu verzeichnen. Dies sind insgesamt 5,5 Prozent weniger als 2019. Der Rückgang der Verurteilungen erstreckt sich über nahezu alle Deliktsbereiche. Ausnahme sind die Verurteilungen wegen Sexualstraftaten: Dort ist ein Anstieg um 5,8 Prozent zu registrieren.“ Die Zunahme der Verurteilungen in diesem Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sei nun im vierten Jahr in Folge zu beobachten.

In den beiden Vorjahren war die Gesamtzahl der in Strafverfahren rechtskräftig verurteilten Personen in Baden-Württemberg jeweils spürbar angestiegen, 2018 um 4,1 Prozent sowie 2019 um 4,8 Pro-zent. Von dieser Entwicklung heben sich die Zahlen des Jahres 2020 nun deutlich ab. Allerdings ist ein Rückgang der Verurteilungen im Jahr 2020 auch in anderen Bundesländern zu beobachten und dürfte insbesondere mit den Folgen der Corona-Pandemie zusammenhängen. Dafür spricht auch, dass im selben Zeitraum in Baden-Württemberg ebenso die in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Fälle – anders als im Jahr 2019 – stark zurückgegangen und auf den niedrigsten Wert seit dem Jahr 1991 gesunken sind. Durch einen Rückgang sozialen Kontakts ergeben sich insoweit als logische Folge in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen weniger Gelegenheiten oder Anlässe zu Straftaten.

Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges sagte: „Das Jahr 2020 war auch bei den Strafgerichten geprägt von der Corona-Pandemie. Das baden-württembergische Ministerium der Justiz und für Europa hatte zur effektiven Verlangsamung der Ausbreitung des Coronavirus ab dem 13. März 2020 für sechs Wochen der Justiz im Land empfohlen, alle nicht notwendigen sozialen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren und in diesem Zeitraum nur einen deutlich eingeschränkten öffentlichen Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten. Die Verfahren wurden zwar auch in der Krise weiterbearbeitet, insbeson-dere, soweit möglich, in Heimarbeit. Öffentliche Hauptverhandlungen sowie Verfahren mit sozialen Kontakten fanden jedoch zunächst nur statt, soweit sie unaufschiebbar waren, insbesondere also Haft- und Eilsachen, ermittlungsrichterliche Tätigkeiten, und langlaufende Strafverhandlungen.“

Um die Auswirkungen der Folgen der Pandemie besser beobachten zu können, hat das Ministerium der Justiz und für Migration eine Sonderauswertung der gerichtlichen Erledigungs-Zahlen vorgenommen. Dieser zufolge sanken die Erledigungen bei den amts- und landgerichtlichen Strafsachen im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 7,25 Prozent. Im ersten Quartal 2020 wurden im Vergleich zur durchschnittlichen Erledigungsleistung des Jahres 2019 rund zehn Prozent weniger, im vom Corona-Lockdown besonders betroffenen zweiten Quartal 2020 sogar 23 Prozent weniger Verfahren erledigt. Im zweiten Halbjahr des Jahres 2020 lag die Erledigungsleistung dagegen wieder in etwa auf dem Niveau des Jahres 2019.

Auch die Zahl der Verfahrenseingänge gegen namentlich bekannte Beschuldigte bei den Staatsanwaltschaften (sog. Js-Verfahren) stieg 2020 nur noch leicht und insbesondere deutlich geringer an als in den Jahren zuvor (2017: 517.221; 2018: 522.702; 2019: 534.246; 2020: 537.588). Erfreulich, so Justizministerin Gentges, habe sich insbesondere die Zahl der Erledigungen von Js-Verfahren bei den Staatsanwaltschaften 2020 entwickelt. Diese lag bei 543.404 (2019: 535.493; 2018: 521.595: 2017:510.116). Darin zeige sich zum einen, dass die notwendige personelle Verstärkung der vergangenen Jahre Wirkung zeige. Zudem ließe sich an diesen Zahlen ablesen, was die Staatsanwaltschaften während der Pandemie auch rückgemeldet hätten: Dass dort die Zeit der sozialen Einschränkungen, auch geprägt von Heimarbeit, zum Bestandsabbau, insbesondere von komplexen Altverfahren, genutzt worden sei.

Die seit vier Jahren steigenden Zahlen bei den Sexualstraftaten, 2020 klar gegen den Trend in den anderen Deliktsbereichen, sind nach Ansicht von Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Zum einen sei in diesem Bereich zu beachten, dass § 177 StGB (Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung) schon durch das 50. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. November 2016 grundlegend geändert und weiter gefasst worden sei. „Zudem, und dies bereitet uns durchaus Sorge“, so Justizministerin Gentges, „steigt die Zahl der Verfahren wegen Verbreitung, des Erwerbs oder Besitzes von kinderpornographischen Schriften seit Jahren an“.

Dazu führte die Ministerin weiter aus: „Besonders hervorzuheben ist, dass die Anzahl an Verurteilungen von Erwachsenen im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nur um zwei Prozent zugenommen hat, während aber die Verurteilungen von Heranwachsenden in diesem Bereich um 30,4 Prozent und die der Jugendlichen sogar um 33,3 Prozent gestiegen sind. Ein besonderes Phänomen, das melden uns Polizei und Staatsanwaltschaft immer wieder, ist in diesem Zusammenhang das Versenden von Bildern mit kinderpornographischem Inhalt über Messenger-Dienste in Chat-Gruppen von Schulklassen. Hier kommt es durch Versenden entsprechender Bilder und Nachrichten immer wieder zu erheblichen Straftaten, ohne dass dies den Kindern und Jugendlichen zunächst bewusst ist. Durch das Ende Juni 2021 verkündete Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder sind nun der Besitz, der Erwerb und die Verbreitung von Kinderpornografie sogar als Verbrechen eingestuft, bislang handelte es sich um ein Vergehen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Nun reicht aber der Strafrahmen von min-destens einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Umso wichtiger ist es, Kindern und Jugendlichen klarzumachen, dass das Versenden, aber auch das Speichern solcher Inhalte eine erhebliche Straftat darstellt.“

Durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz und das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der darin ab 2022 vorgesehene Meldepflicht für entsprechende Verfahren erwartet die Justiz im Land in diesem Bereich ab dem kommenden Jahr zudem jährlich bis zu 2000 zusätzliche Verfahren wegen des Besitzes und des Verbreitens kinderpornographischer Inhalte. Auf diese Gesamtentwicklung beabsichtigt das Justizministerium mit einer gezielten personellen Verstärkung reagieren. Daher sieht der Regierungsentwurf für den Haushalt 2022 insgesamt 20,0 Neustellen insbesondere für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in diesem Bereich vor.

Erfreulich seien nach Ansicht von Justizministerin Marion Gentges auch die weiter sinkenden Verurteilungen von Jugendlichen. So sei Zahl der verurteilten Jugendlichen mit 3.589 im Vergleich zum Vorjahr (4.272) um 16 Prozent gesunken. „Ich bin überzeugt, dass sich bei Jugendlichen alle Anstrengungen der Prävention, aber auch alle Bemühungen nach Straftaten, die Betroffenen wieder auf den rechten Weg zu bringen, lohnen. Deswegen ist es mir auch ein Anliegen, das baden-württembergische Erfolgsmodell der Häuser des Jugendrechts auszubauen“, so Gentges. Derzeit bestehen in Baden-Württemberg sieben Häuser des Jugendrechts. Das bundesweit erste Haus des Jugendrechts wurde in Stuttgart-Bad Cannstatt im Jahr 1999 eingerichtet. In der Folge wurden im Jahr 2012 in Pforzheim, im Jahr 2015 in Mannheim, im Jahr 2017 in Heilbronn, im Januar und im Februar 2020 in Ulm und Offenburg sowie im April 2021 in Karlsruhe Häuser des Jugendrechts in Betrieb genommen. Konkrete Planungen weiterer Häuser des Jugendrechts bestehen in Villingen-Schwenningen, Ludwigsburg und Stuttgart.

Auf die ausführliche weitere Pressemitteilung des Statistischen Landesamts vom heutigen Tag wird hingewiesen.


Weitere Informationen zur Strafverfolgungsstatistik:


Die Strafverfolgungsstatistik wird jährlich erhoben. In der Statistik wird die Tätigkeit der Gerichte erfasst – nachdem Anklage erhoben wurde. Damit sind diejenigen Taten nicht berücksichtigt, bei denen keine Tatverdächtigen ermittelt werden konnten. Ebenso wenig fließen Zahlen zu Taten ein, bei denen das Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaften eingestellt wurde. Insofern kann die Strafverfolgungsstatistik kein umfassendes Bild der Kriminalität vermitteln. Sie darf nicht mit der Kriminalstatistik der Polizei verwechselt werden.

Als verurteilt gilt eine Person, gegen die nach allgemeinem Strafrecht eine Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe verhängt wurde oder deren Straftat nach Jugendstrafrecht mit Jugendstrafe, Zuchtmittel oder Erziehungsmaßregel geahndet wurde.


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